„Nachhaltiges Bauen ist mehr als ein Holzlamellen-Fassadenbild“

Dez. 16, 2025

Im Gespräch mit Alexander Christiani über nachhaltiges Bauen

Nachhaltigkeit ist eines der meistverwendeten Worte im Bauwesen – und zugleich eines der missverständlichsten. Zwischen Holzfassade und Effizienzhausstandard geht oft verloren, worum es eigentlich geht: um Verantwortung, um langfristige Qualität und um Wohnräume, die auch in Zukunft noch tragen.

Wir haben mit Alexander Christiani, Projektleiter bei der OEKOGENO, darüber gesprochen, wie nachhaltiges Bauen in der Praxis aussieht – und was das für unsere Wohnprojekte konkret bedeutet.

Zur Person

Der Architekt und Bauwirtschaftsingenieur Alexander Christiani ist seit 2024 Projektleiter für Wohnprojekte bei der OEKOGENO. Er bringt seine Erfahrung aus Planung und Baupraxis in die Entwicklung genossenschaftlicher Wohnquartiere ein – mit einem klaren Fokus auf nachhaltige Bauweisen, langfristige Qualität und soziale Verantwortung.

Alex, du leitest das VieLe-Projekt in Mühltal. Wenn du heute über nachhaltiges Bauen sprichst: Was bedeutet das für dich persönlich – und hat sich dein Blick darauf verändert?

Sehr sogar. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wurde in den vergangenen Jahren so inflationär gebraucht, dass er viel von seiner Glaubwürdigkeit verloren hat. Während meines Architekturstudiums dachte ich ehrlich gesagt noch, es sei schon nachhaltig, ein paar Holzlamellen vor eine Betonwand zu hängen. Heute weiß ich: Das bringt weder einen echten ökologischen Mehrwert noch wird es der Komplexität des Themas gerecht.

Nachhaltigkeit im ursprünglichen Sinn heißt ja, gegenwärtige Bedürfnisse zu erfüllen, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beschneiden. Beim Bauen bedeutet das, ökologische, wirtschaftliche, politische und soziale Interessen zusammenzubringen. Und zwar so, dass Menschen auch in vielen Jahren noch von den Entscheidungen profitieren, die wir heute treffen.

Mit welchen Leitgedanken gehst du an die Planung eines neuen Wohnquartiers für die OEKOGENO heran?

Ganz zentral ist für mich: umweltfreundlich bauen und einen langfristigen Nutzen für die späteren Bewohner:innen schaffen. Aber Nachhaltigkeit endet für mich nicht beim fertigen Gebäude. Sie beginnt schon sehr früh im Prozess – und schließt auch die Art ein, wie wir miteinander arbeiten.

Mir ist wichtig, dass wir kooperativ planen und bauen, nicht gegeneinander. Und ein Punkt liegt mir besonders am Herzen: soziale Nachhaltigkeit auf der Baustelle. Gerade im Handwerk gibt es nach wie vor massive Missstände. Faire Arbeitsbedingungen sind für mich kein „Add-on“, sondern Teil eines ganzheitlich nachhaltigen Bauens.

Holzbau, Materialien und Verantwortung

Die OEKOGENO setzt konsequent auf Holzbau. Warum ist das aus deiner Sicht der richtige Weg – gerade für gemeinschaftliche Wohnprojekte?

Ich ziehe da gern einen Vergleich zur Automobilbranche: Der Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektromobilität löst nicht alle Probleme, aber wir wissen ziemlich sicher, dass fossile Abhängigkeiten keine Zukunft haben.

Ähnlich ist es beim Bauen. Viele klassische Baustoffe sind extrem energieintensiv in der Herstellung. Wenn wir ernsthaft nachhaltiger bauen wollen, müssen wir deren Einsatz deutlich reduzieren. Holz und andere ökologische Baustoffe leisten hier einen wichtigen Beitrag. Sie sind erneuerbar, speichern CO₂ und ermöglichen konstruktiv ganz neue Wege – gerade auch im mehrgeschossigen Wohnungsbau.

Energieeffizienz: hoher Anspruch, großer Nutzen

Fast alle OEKOGENO-Projekte entstehen im Effizienzhaus-Standard KfW 40 oder vergleichbar. Was bedeutet das konkret für Planung und Umsetzung?

Der aktuell höchste Effizienzhaus-Standard deckt sich sehr gut mit unserem Anspruch an zukunftsfähiges Bauen. Oft streben wir zusätzlich das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) an. Damit kommen weitere Anforderungen hinzu – zum Beispiel im Bereich Barrierefreiheit.

Das bringt einen nicht unerheblichen Mehraufwand mit sich: in der Planung, in der Ausführung, in der Bauüberwachung und in der Dokumentation. Aber dieser Aufwand zahlt sich aus. Unsere Bewohner:innen profitieren langfristig durch geringere Betriebskosten, eine hohe Energieeffizienz und eine bauliche Qualität, die auch im Alter oder bei veränderten Lebenssituationen trägt.

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Weniger Fläche, mehr Lebensqualität

Flächenverbrauch gilt als einer der größten Hebel für Nachhaltigkeit. Wie gelingt es, hier klug zu planen, ohne Wohnqualität einzubüßen?

Ein entscheidender Unterschied zwischen genossenschaftlichen Wohnprojekten und klassischen Eigentumswohnungen liegt in den Gemeinschaftsflächen. Gemeinschaftliche Wohnbereiche mit Küche, kleine Veranstaltungsräume, Werkstätten, Gäste-Apartments oder Gemeinschaftsgärten – all das braucht zwar Platz, erweitert aber den individuellen Wohnraum über die eigene Wohnung hinaus.

Unterm Strich kann der private Flächenbedarf sinken, ohne dass Lebensqualität verloren geht. Im Gegenteil: Viele Bewohner:innen erleben genau diese gemeinschaftlichen Räume als echten Mehrwert.

Mobilität als Teil der Architektur

Welche Rolle spielt Mobilität bei der Quartiersplanung?

Eine sehr große. Neben Gebäuden und Grundrissen ist entscheidend, wie ein Quartier an seine Umgebung angebunden ist. Gut durchdachte Mobilitätskonzepte beeinflussen die Wohnqualität ebenso wie die Kosten.

Gerade PKW-Stellplätze sind ein großes Thema: Sie verbrauchen viel Fläche und sind teuer in der Herstellung. Deshalb versuchen wir, ihre Anzahl zu reduzieren – immer orientiert am tatsächlichen Bedarf und im Rahmen der geltenden Vorschriften. Das ist oft ein Balanceakt, aber ein wichtiger Schritt hin zu nachhaltigeren Quartieren.

Serielles Bauen: kein Widerspruch zur Qualität

Serielles und modulares Bauen gelten als Schlüssel zur Lösung der Wohnungsbaukrise. Wie blickst du darauf?

Serielle und modulare Bauweisen haben klare Vorteile: Durch einen hohen Vorfertigungsgrad können Bauelemente unter kontrollierten Bedingungen hergestellt werden. Das verkürzt die Bauzeit erheblich und macht Kosten besser kalkulierbar.

Maßgeschneiderte Lösungen stehen dem nicht automatisch entgegen. Bei der OEKOGENO beschäftigen wir uns intensiv mit seriellem Holzbau, müssen aber jedes Projekt individuell betrachten. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, für jedes Vorhaben die bestmögliche Lösung zu finden.

Trends und notwendige Veränderungen

Welche Entwicklungen werden nachhaltiges Bauen in den kommenden Jahren prägen?

Wir sehen immer mehr Unternehmen, die sich auf seriellen Holzbau spezialisiert haben – teilweise mit eigenen, sehr ausgefeilten Baukastensystemen. Wenn es gelingt, diese hochskalierten Systeme mit regionaler Ressourcenverfügbarkeit zu verbinden, liegt darin enormes Potenzial: kosteneffizient, gut kalkulierbar und schnell realisierbar.

Gerade im Wohnungsbau brauchen wir angesichts der aktuellen Lage einen echten Paradigmenwechsel. Nicht nur technisch, sondern auch in der Frage, wie Projekte entwickelt werden – und wer dabei die Richtung vorgibt.

Das VieLe-Projekt in Mühltal

Du bist für das VieLe-Projekt verantwortlich. Welche baulichen Entscheidungen wurden hier bewusst getroffen, um Energie zu sparen, Flächen effizient zu nutzen oder Mobilität neu zu denken?

Trotz des hohen Aufwands beim Projekt sehe ich große Vorteile im energieeffizienten Bauen nach höchsten Standards. Dazu gehören eine sehr hochwertige Gebäudehülle, niedrige laufende Energiekosten und eine hohe Eigenversorgung mit Strom durch Photovoltaik.

Bei der Mobilität stoßen wir allerdings noch an Grenzen. Die Bauvorschriften zwingen uns häufig dazu, mehr PKW-Stellplätze zu errichten, als eigentlich sinnvoll wären. Hier braucht es dringend mehr politische Impulse, Mut zur Veränderung und Offenheit für neue Konzepte.

Vielen Dank, Alex, für das Gespräch!

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