von Raul Krauthausen, Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit.
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Können Nichtbehinderte sich für behinderte Menschen engagieren?
Das werde ich öfters gefragt. Und ich finde: Ja, das können sie. Eine kleine Handlungsempfehlung.
Gemeinsam sind wir stark, heißt es in einem Kinderlied.
Dass die Welt für Menschen mit Behinderung ein besserer Ort wird, ist ein Grundanliegen in meinem Leben, da braucht man jede Stimme. Immerhin lebe ich mit dem Aufdruck „Aktivist“. Nun sind Menschen mit Behinderung zwar massenhaft vorhanden, in jedem Dorf finden Sie die. Aber nicht immer sind sie organisiert in Verbänden, Vereinen oder Bewegungen. Also: Richtig gemeinsam handeln heißt, dass Menschen mit Behinderung nicht allein die Welt zu einem besseren Ort zu machen versuchen, sondern Hand in Hand mit jenen ohne Behinderung; letztere sind auch in der Mehrheit, die hab ich lieber auf meiner Seite, ich meine: alle!
Auf diesem Weg höre ich zuweilen die Frage:
„Kann ich als Nicht-Behinderter mich für die Rechte behinderter Menschen einsetzen?“
Meine kurze Antwort: Ja!
Es ist auch ganz einfach, zumindest sollte es sein. Und damit es einfacher wird und wir Hand in Hand die Rechte von Menschen mit Behinderung verwirklichen können, gibt es hier ein paar Tipps. Danke an Margarete Stokowski für die Inspiration!
- Wenn du über Behinderungen sprichst, denke daran: Wer selbst eine hat, ist ein_e qualifizierter Gesprächspartner_in. Shut up and listen! Es lohnt sich, zuzuhören. Echte Aktivist_innen sehen sich zuerst in der Rolle des Zuhörens und nicht in der des allwissenden Erklärens.
- Nutze die Aufmerksamkeit, die du bekommst, nicht, um dich selber in den Mittelpunkt zu stellen, sondern trete sie ab, um den Stimmen der Menschen mit Behinderung Gehör zu verschaffen.
- Kriegst du ein komisches Gefühl, wenn über Belange von Menschen mit Behinderung gesprochen wird, während keiner von ihnen dabei ist – obwohl einer dabei sein könnte? Dann folge diesem Gefühl, denn du liegst richtig.
- Schau in den Raum: Fast alles ist gestaltet für Menschen ohne Behinderung. Nur, um sich das klar zu machen.
- Wo Menschen mit Behinderung selbst für ihre Belange sprechen wollen, ermögliche es ihnen.
- Eine Akzeptanz von Menschen mit Behinderung, wie sie sind und mit allen Rechten, erfordert ein Statement von dir. Und das endet nicht damit los zu springen, wenn ein Rollstuhlfahrer einen Hügel herab geschubst wird.
- Überprüfe deine eigenen Worte über Menschen mit Behinderung: Stell dir vor, du sprichst über dich selbst. Störst du dich an etwas – gehe dem nach, denn so fühlen womöglich auch andere.
- Hörst du Witze auf Kosten von Menschen mit Behinderung, lache bitte nicht nur nicht mit, sondern widerspreche. Mein Standardspruch, der gut funktioniert: Es gibt bessere Witze, über die ich nicht gelacht habe.
- Wenn du denkst, Menschen mit Behinderung kriegen nichts Großes auf die Reihe, erinnere dich an Franklin D. Roosevelt, Frida Kahlo, Michael J. Fox und Andrea Bocelli. Stephen Hawking darfst du auch gern erwähnen.
- Sehe in Menschen mit Behinderung typische Vertreter_innen der Spezies Mensch. Mit ähnlichen Wünschen, Zweifeln, Talenten, Ängsten und Böswilligkeiten. Sehe in ihnen nicht automatisch einen alten Weisen vom Berg, nur weil sie anders erscheinen. Jedi-Ritter sind sie übrigens ebenfalls nicht. Und nein: auch keine Inspiration.
- Lies Bücher von Menschen mit Behinderung, nicht über sie. Lies und schaue ihre Interviews und Auftritte und höre ihre Podcasts. Und fordere, dass Filmrollen mit Behinderung von behinderten Schauspielern besetzt werden.
- Frage dich, wie viele Menschen mit Behinderung du in deiner Kindheit zu deinen Freund_innen zähltest, wie viele du kanntest. Und wie das heute ist.
- Verkneife dir ein „Nun reiß dich doch mal zusammen“, ein „Reg’ dich nicht gleich auf“ und erst recht ein „So war das sicher nicht gemeint“.
- Fasse Menschen mit Behinderung nur an, wenn du dir vorstellen kannst selbst so angefasst zu werden. Das gilt auch für Rollstühle. Fragen geht natürlich auch.
- Frage dich, warum an deinem Arbeitsplatz nicht auch Menschen mit Behinderung beschäftigt sind.
- Es ist ok, wenn Mensch nicht auf Anhieb alles weiß und richtig macht. Es tut gut, sich selbst einzugestehen, dass wir von einigen Dingen (noch) keine Ahnung haben. Auskunft kann ja eingeholt werden, zum Beispiel von anderen Subjekten.
- Siehe Menschen mit Behinderung nicht als Vertreter_innen einer Gruppe. Eine Partei haben sie auch nicht. Gestehe ihnen zu, links oder rechts eingestellt zu sein.
- Beschönige nicht die Behinderungen von Menschen, das bringt nichts. Genaue Sprache dagegen hilft uns allen weiter. Menschen mit Behinderung brauchen auch kaum deinen Schutz, aber mehr deine Solidarität und eine Begegnung auf Augenhöhe. Eine Behinderung kann hart sein, tragisch aber ist sie nicht. Die Umstände können tragisch sein, aber das wollen wir ja ändern.
- Dabei können die Worte der afro-amerikanischen Aktivistin Pat Parker hilfreich sein, denn was sie weißen Menschen rät, kann man auch Menschen ohne Behinderung im übertragenen Sinn raten: “For the white person who wants to know how to be my friend: The first thing you do is to forget that I’m black. Second, you must never forget that I’m black.“
- Dir ist Privatsphäre wichtig? Anderen auch. Frag bei der ersten Begegnung nicht gleich in den ersten fünf Minuten, welche Behinderung dein Gegenüber hat. Man fragt dich ja auch nicht sofort nach deiner Sexualität oder anderen biografischen Hintergründen.
- Denke nicht, Menschen mit Behinderung seien besonders geeignet deine persönlichen Geschichten zu hören. Erzwinge keine Intimität.
- Erkenne Barrierefreiheit nicht als ein persönliches Thema mancher Leute, sondern auch als deines, als unseres.
- Sei bereit, für dein Engagement nicht nur Beifall zu kriegen, sondern öffne dich für Kritik, auch für Zorn. Es geht nicht um Pluspunkte für den Himmel, sondern um – eine bessere Welt