Zum Jahreswechsel löst Wirtschaftsingenieur András Kaiser Rainer Schuele als Vorstand der OEKOGENO ab. Nach einer Laufbahn in der Industrie, zuletzt in der Medizintechnikbranche, zieht es Kaiser in die Welt der Genossenschaften. Im Interview spricht er über die OEKOGENO, seine Aufgaben als neuer Vorstand und warum er sich im Leben manchmal mehr Verbindlichkeit wünscht.
Wie war dein erster Eindruck von der OEKOGENO?
Die OEKOGENO habe ich von Anfang an als eine – im positiven Sinne – eingeschworene Truppe wahrgenommen, die mit Herzblut dabei ist, die Gesellschaft zu verändern. In allen Gesprächen und Treffen wurde schnell deutlich, dass hier wirklich gelebt wird, was man sich auf die Fahnen schreibt, nämlich ein respektvoller, sehr menschlicher Umgang miteinander.
Verwundert war ich über die Tatsache, dass die OEKOGENO, die bundesweit mehr als 16.000 Mitglieder hat, alles aus der Geschäftsstelle in Freiburg mit etwa 25 Mitarbeitern steuert. Das bedarf unglaublicher Energie. Später habe ich erfahren, dass es noch Unterstützung aus dem Regionalbüro in Frankfurt, wenn auch nur mit einem Mitarbeiter, gibt.
Du kommst branchenfremd zur OEKOGENO. Zuvor hast du bei einem Freiburger Medizintechnik-Unternehmen gearbeitet. Warum der Wechsel in die Nachhaltigkeitsbranche?
Das Thema Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien, aber auch Sozialwesen/Gemeinwohl wurde mir immer wichtiger. Deswegen hatte ich 2010 berufsbegleitend ein Studium im Bereich der erneuerbaren Energien absolviert, da mir zu dem Zeitpunkt klar war, dass ich meine Energie und meine Fähigkeiten irgendwann in den Dienst der Nachhaltigkeit und von Werten stellen möchte, die ich vertrete. Während meiner Zeit in der Industrie habe ich es aber nie so richtig geschafft, diese Bereiche zu finden. Klar habe ich immer wieder kleine Nischen entdeckt,– so war ich bspw. bei Hansgrohe etwa mitunter im Nachhaltigkeitscontrolling tätig oder bei der Solarstrom AG – aber jetzt mit 47 Jahren habe ich festgestellt, dass dies immer nur suboptimale Lösungen waren. Mit der OEKOGENO hat sich nun die Möglichkeit ergeben, mich vollständig für diese Werte einzusetzen. Und diese Werte tragen auch die Mitarbeiter und die Genossenschaftsmitglieder mit. Das ist wahrscheinlich auch mit einer der Gründe, warum ich mich hier so wohl fühle.
Was macht die OEKOGENO für dich aus?
Die OEKOGENO-Maxime „Gemeinwohlorientierung statt Gewinnmaximierung“ spricht mir aus der Seele. Sie bringt in so wenigen Worten auf den Punkt, was ich mir für die Zukunft wünsche. Und gerade in unserer Zeit, wo der Mensch leider immer mehr in den Hintergrund und der Profitgedanke immer mehr in den Vordergrund rückt, setzt die OEKOGENO etwas dagegen. Hier kommt der Mensch als erstes und erst im zweiten Schritt schaut man, ob das Projekt, das den Menschen im Mittelpunkt hat, auch wirtschaftlich rentabel und umsetzbar ist.
Und bei allen OEKOGENO-Mitarbeiter*innen spürt man diesen Wunsch, sich nicht einem immer unmenschlicher werdenden System unterzuordnen, sondern eine nachhaltige und solidarische Gesellschaft mitzugestalten. Und diese Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, dass unsere Gesellschaft auch anders funktionieren kann, bietet die OEKOGENO auch ihren Mitgliedern.
Andràs, du hast schon gesagt, der Mensch steht bei der OEKOGENO im Vordergrund. Jetzt wollen wir dich als Menschen kennenlernen. Was ist dir im Leben wichtig?
Wichtig sind mir vor allem Ehrlichkeit und Authentizität. Für mich ist es entscheidend, dass man sich als Mensch für etwas verantwortlich fühlt und danach auch handelt. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, wo nicht immer nur die eigenen Wünsche und Erwartungen im Vordergrund stehen und es stattdessen mit ein bisschen Demut und mehr Menschlichkeit zugeht.
Mir wird außerdem nachgesagt, dass ich ein besonderes Gerechtigkeitsgefühl habe. Das kann ich einfach nicht abstellen und damit ecke ich schon auch einmal an, etwa in der Familie: Wenn ich etwas Ungerechtes sehe, dann muss ich das ansprechen und nicht einfach unter den Teppich kehren. Das gehört für mich auch zur Authentizität.
In deiner bisherigen Karriere hast du verschiedene Stationen durchlaufen. Was hat dich besonders geprägt?
Oh, da fallen mir gleich mehrere ein (lacht). Bevor ich mich für Wirtschaftsingenieurwesen entschieden habe, habe ich drei Semester Mathematik auf Diplom studiert und dann letztlich abgebrochen. Auslöser dafür war, als ich merkte, wie sich die ganze Denkstruktur langsam verändert: Ich hatte Probleme mit meiner damaligen Freundin und habe mich bei dem Versuch ertappt, das in einem mathematischen Modell zu lösen – für mich ein Alarmzeichen und ein deutliches Signal, dass ich nicht allein in einem Raum sitzend vor mich hindenken und Probleme lösen will, sondern mir Menschen und Kommunikation viel wichtiger sind.
Prägend fand ich auch meine Zeit bei Bosch Siemens Hausgeräte. Ich hatte dort einen Geschäftsführer, der immer betonte, wie wichtig das Menschliche im Beruf ist. Das Fachliche könne man lernen, aber das Menschliche ist einem gegeben und sorge sehr oft für ein positives Umfeld und hieraus resultierend für positive Arbeitsergebnisse.
Seit Oktober 2023 bist du nun offiziell bei der OEKOGENO: Wie lief der Start?
Kurz bevor ich die Stelle angetreten habe, durfte ich beim zweitägigen Teamevent der OEKOGENO mit dabei sein und habe die Genossenschaft und ihre Mitarbeiter*innen aus einer ganz anderen Perspektive kennenlernen. Mein (offizieller) erster Tag fühlte sich dann gar nicht mehr so an, weil ich ja alle Gesichter schon kannte. Und nach dem ersten Monat hatte ich dann auch das Gefühl, dass ich schon mindestens drei, vier Monate dabei bin. Ich wurde von Anfang an wie ein echter Bestandteil des Teams aufgenommen und hatte so vom ersten Tag an das Gefühl „ich bin angekommen“.
Was sind deine Schwerpunktthemen? Für welche Aufgabenfelder wirst du zuständig sein?
Ich komme aus dem Finanz- und Rechnungswesen und werde daher den Bereich Finanzen verantworten. Schwerpunkt wird sicherlich sein, gemeinsam mit dem zweiten Vorstand einen Fahrplan zu entwickeln, mit dem die OEKOGENO sicher durch die Zukunft kommt. Es wird darum gehen, eine Strategie für die nächsten Jahre zu erarbeiten und sich dabei auch weitere Geschäftsfelder anzuschauen. Im Moment liegt der Schwerpunkt auf den Wohnprojekten, aber gerade den Bereich erneuerbare Energien, in dem wir auch schon viele Projekte realisiert haben und über gutes Know-how verfügen, wollen wir wieder mehr in den Fokus rücken, um uns nicht von den Entwicklungen einer einzelnen Branche abhängig zu machen.
Intern wird es darum gehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen man effizient und mit Freude arbeiten kann. Anders als ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten die gleichen Abläufe hat, und daher ihre Prozesse über einen langen Zeitraum hinweg optimieren kann, ist eine Genossenschaft bzw. die OEKOGENO sehr dynamisch. Die Herausforderung für die OEKOGENO wird sein, Prozesse und Strukturen zu schaffen bzw. weiter auszuarbeiten und sich gleichzeitig die Flexibilität zu bewahren, die sie benötigt. Aber es gilt auch hier: Der Mensch steht im Vordergrund und das schließt natürlich auch unsere Mitarbeiter*innen mit ein.
Wo siehst du derzeit besondere Chancen für die OEKOGENO?
Die OEKOGENO genießt einen sehr guten Ruf, was sozialen Wohnungsbau, inklusives und gemeinschaftliches Wohnen angeht. Den Erfolg dieses Konzepts haben wir schon mehrfach unter Beweis gestellt und das ist auch ein Garant für die Zukunft. Gerade jetzt, wo es viel zu wenig Wohnungen gibt, und die Politik überfordert scheint, ist es wichtig, dass Akteure wie die OEKOGENO versuchen, trotz der schweren Rahmenbedingungen einigermaßen bezahlbaren Wohnraum umzusetzen. Allerdings muss man auch realistisch bleiben und sich fragen, zu welchen Bedingungen das umsetzbar ist. Und wir brauchen unsere Mitglieder, um uns zu unterstützen.
Vor dem Hintergrund wird auch unser zweites Standbein erneuerbare Energien immer wichtiger: Aufgrund der politischen Entwicklung rückt das Thema immer mehr in den Fokus und wenn wir als OEKOGENO dabei aktiver im Markt unterwegs sind, können wir die Entwicklungen im Wohnungsbau abfedern.
So oder so: Die OEKOGENO mit ihrem guten Ruf, ihren Netzwerken und nicht zuletzt ihrem Knowhow hat die besten Voraussetzungen, um diese Chancen im Sinne ihrer Mitglieder zu nutzen.
Genossenschaften sind ein bewährtes, aber unter jüngeren Menschen eher wenig bekanntes Konstrukt. Warum sind sie gerade für junge Menschen dennoch attraktiv?
Ich bin überzeugt, dass der Zuspruch für unseren Slogan „Gemeinwohlorientierung statt Gewinnmaximierung“ in der Gesellschaft sehr hoch ist und dass das auch gerade die junge Generation anspricht: Der Wille, etwas in der Gesellschaft zu ändern, ist durchaus da und genau das ermöglichen Genossenschaften ja auch ihren Mitgliedern.
Was wünschst du dir für die Zukunft der OEKOGENO?
Für die Zukunft wünsche ich mir eine Politik, die die richtigen Rahmenbedingungen setzt, unter denen die OEKOGENO weiterhin bezahlbaren Wohnraum für Menschen schaffen kann. Und im Hinblick auf das, was wir selbst in der Hand haben (lacht): Ich wünsche mir, dass die Mitglieder weiterhin an unsere Genossenschaft glauben und mit unserem Tun zufrieden sind.
Die offizielle Pressemitteilung zum Vorstandswechsel finden Sie hier.